Streit um Vermittleraufsicht der Handelskammern

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Über die Vermittleraufsicht der Industrie- und Handelskammern gibt es zumindest aus der Sicht von Verbraucherschützern und europäischer Aufsicht Diskussionsbedarf. Sind Industrie- und Handelskammern (IHK) tatsächlich in der Lage, Vermittler ausreichend zu beaufsichtigen? Diese Frage stellte Petra Hielkema, Vorsitzende der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) auf der 34. Wissenschaftstagung des Bund der Versicherten (BdV).

Bisher würden die IHKs nicht am Tisch sitzen, wenn die 27 Aufseher in Europa mit der Eiopa konferieren würden. Hielkema machte deutlich, dass es hier erstmal um ein Wissensdefizit der europäischen Aufsicht gehe. Demgegenüber fordert der BdV-Vorstandssprecher, Stephen Rehmke, die Vermittleraufsicht künftig der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) zu übertragen.

BaFin soll Vermittler beaufsichtigen

Wer beispielsweise das Frittenfett in der Imbissbude kontrolliere, könne nicht gleichzeitig Versicherungsvermittler beaufsichtigen. „Das passt nicht. Es gibt viel zu viele Regeln für die Versicherungswirtschaft“, so Rehmke. Und diese Regeln würden künftig aufgrund der Gesetzgebung zur künstlichen Intelligenz (KI) noch komplexer. „Ich bin skeptisch, dass die IHK tatsächlich wissen, was bei den Vermittlern am „point auf sale“ passiert“, sagte Lars Gatschke, Referent im Team Finanzmarkt beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).

Demgegenüber sieht Michael Heinz, Präsident des Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) keine Probleme, bei der Aufsicht durch die IHK. Das Bildungssystem und die Zulassung würden funktionieren. Zudem gebe es nur marginale Beschwerdezahlen über Vermittler. „Man muss das Kind nicht mit dem Bade ausschütten“, warnte Heinz.

IHK Sanktionsmöglichkeiten geben

Der BVK-Präsident gibt sich aber offen für Verbesserungsbedarf. „Was fehlt sind Sanktionen. Die IHKs können heute gegen unbotmäßige Vermittler kein Berufsverbot aussprechen. Das könnte man verbessern.“ Gleichzeitig forderte Heinz die Eiopa zum Dialog mit den IHKs auf. Ansprechpartner wäre die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK).

In der Diskussion wurde von Verbraucherschützern aber kritisch angemerkt, dass immer noch tausende von Nebenberuflern etwa als Tippgeber das Zulassungs- und Aufsichtssystem unterlaufen würden. Das gelte zudem für den Bankenvertrieb. Hier würden vielfach zu teure und unbrauchbare Versicherungsprodukte vermittelt. Nach Einschätzung von Verbraucherschützer Gatschke ist der Verkauf von Versicherungen ohne Beratung über die Ladentheke europarechtswidrig. „Zumindest die Abfrage nach vorhandenem Versicherungsschutz wäre eigentlich Pflicht“, so Gatschke.

Aber aufgrund geringer Schäden, gebe es wohl wenig Beschwerden. Ist die Vermittlung eine Nebentätigkeit, also produktakzessorisch, wäre sie nach geltendem Recht erlaubnisfrei. Der Vertreter des vzbv sieht es aber als falsch an, dass dann etwa im Autohaus beim Abschluss einer Restschuldversicherung überhaupt nicht thematisiert werde, ob der Kunde vielleicht schon eine Risikolebensversicherung hat. Daher sollte diese Art der Vermittlung – vor allem Elektronikgroßhändler verkaufen sogenannte Garantieverlängerungen – vom Europäischen Gerichtshof überprüft werden. Das Zustandekommen einer solchen Klage ist aber auch nach Einschätzung des Verbraucherschützers nicht einfach.

Eiopa will weiter Produktnutzen für Kunden prüfen

Aufseherin Hielkema machte sehr deutlich klar, dass Produkte ohne Kundennutzen auf der roten Liste stehen. So entwickelt die Eiopa derzeit europaweit Benchmarks, um für jede Produktart in jedem Staat einen durchschnittlichen Preis zu ermitteln. „Bei ganz vielen Produkten können wir bisher nicht klären, wie der Preis zustande kommt“, so Hielkema. Daher werde es viele Gespräche mit Versicherern geben müssen. Hier sei die Bafin mit ihrem Merkblatt bereits aktiv geworden. (Anm. Red. Merkblatt 01/2023 (VA) zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten). Die Bafin würde die Tätigkeiten in dieser Sache der Eiopa regemäßig mitteilen. Nur wenn „value für money“ möglich sei, könnte es Vertrauen in die Produkte der Branche geben.

Nach Meinung von GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen sei das Bafin-Wohlverhaltens-Merkblatt ein „vernünftiger Aufschlag“. Ab einer bestimmten Schwelle gehe man nun gegen schwarze Schafe im Markt vor. Die Eiopa nimmt derzeit Finanz-Influencer, die etwa über die Videoportale Youtube oder Tiktok arbeiten, stärker ins Visier. Hier gebe es möglicherweise eine Verschiebung bei der Vermittlung von Versicherungen. Hielkema: „Wir wollen sehen, was dort gesagt wird und wie das verkauft wird.“

Das europäische Gesetz zur künstlichen Intelligenz (AI-Act) wird, nachdem im März 2024 das Parlament zugestimmt hat, in Kürze in Kraft treten. „Es begründet ein ganz neues Aufsichtssystem, das sich aus Behörden auf EU-Ebene und nationaler Ebene zusammensetzt“, erläuterte Professor Domenik Wendt von der Frankfurt University of Applied Science. Der technologieneutrale und risikobasierte Regulierungsansatz des AI-Acts würde auch KI-Systeme in Versicherungen erfassen. Dabei kämen die Anwendungsbereiche in Risikoklassen. „Je höher das Risiko, desto höher die Auflagen bis hin zum Verbot, um die Grundrechte der Europäer zu schützen“, erläuterte Wendt.

So wolle man mit dem Gesetz erreichen, dass KI-System fair sind und nicht diskriminieren. „Eine soziale Kontrolle, wie sie in Asien durch KI-Systeme möglich ist, wird damit in Europa verboten“, stellte Wendt klar. Lebens- und Krankenversicherer sind durch den AI-Act als Hochrisiko-Systeme eingestuft. Daher müssten diese Sparten bei der Nutzung von KI-Systemen besonders transparent sein. „Der Diskriminierung soll vorgebeugt werden. Es muss somit klar sein, woher die Daten kommen, die die KI verwendet“, erläuterte Wendt.

KI-Nutzung in Branche wird stark zunehmen

Kritik kam in der Diskussion von Seiten des GDV. Nach Meinung einer Vertreterin, sei die Versicherungsbranche schon hoch reguliert. Die neuen Anforderungen würden die Kosten nach oben treiben und müssten am Ende von den Kunden bezahlt werden. In der Diskussion wurde deutlich, dass „KI kein Teufelszeug“ sei, wenn sein Einsatz transparent dokumentiert werde. Bei Assekuranzen wird KI schon heute oft eingesetzt und die Investitionen in solche Systeme wird sich deutlich steigern.

Laut einer Umfrage der Eiopa, dürften in drei Jahren 80 Prozent aller Versicherer mit KI arbeiten. Die Unternehmen können KI in der gesamten Wertschöpfungskette einsetzen, also etwa in der Antragsbearbeitung, der Risikoprüfung oder Betrugserkennung. Gleichzeitig würde aber beispielsweise die Möglichkeiten zum Versicherungsbetrug verstärkt. Damit startet ein regelrechter Wettbewerb der KI-Systeme.

Nach Meinung von Heinz und Asmussen ist die Branche aufgrund des Fachkräftemangel unbedingt darauf angewiesen, KI-Systeme einzusetzen. „Wir beschäftigen in der Branche rund 500.000 Arbeitskräfte. Davon werden in den nächsten Jahren altersbedingt rund ein Drittel ausscheiden. Die können wir nicht eins zu eins ersetzen“, so Asmussen.

Autor(en): Uwe Schmidt-Kasparek

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